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Agil wie ein Preuße

#JCON2017 #Agile #Auftragstaktik

Agile Methoden wie Scrum und Kanban sind enorm populär. Allein die Werkzeug zu besitzen, bewirkt in der Praxis nicht viel. Erst wenn sich ein echter Kulturwandel vollzogen hat, werden sich die Vorteile von Agilität, wie eine kürzere Time-to-Market, einstellen. In diesem Punkt kann zeitgemäße Softwareentwicklung noch vieles aus dem 19. Jahrhundert lernen.

Wer das Wort „preußisch“ hört, denkt als erstes meist an die Pickelhaube, starre Regelwerke, das sture Einhalten von Vorschriften und allen voran blinde Disziplin. Kurz gesagt, das Gegenteil von Agilität. Nur wenige wissen aber, dass die preußischen Militärtheoretiker bereits im 19. Jahrhundert ein hohes Bewusstsein für selbiges hatten. Sie definierten Prinzipien, von denen wir auch heute noch profitieren können – vor allem die Softwareentwicklung. Denn in einer Zeit, in der Agilität immer wichtiger wird, sollten sich Organisationen mit Methoden der agilen Führung beschäftigen.

Was heißt das konkret? Derzeit wird viel von Agilität geredet, doch die Philosophie dahinter ist nur in wenigen Unternehmen angekommen. Scrum, Kanban, you name it: Bloß ein Werkzeug in der Hand zu haben, macht jedoch noch keinen Meister. Deshalb bedarf es in der großen weiten Welt der Software eines Kulturwandels. Erst wenn dieser sich vollzogen hat, können IT-Abteilungen einhalten, was ihnen unter dem Stichwort Agilität seit Langem abverlangt wird: Softwareprodukte zu entwickeln, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung tatsächlich die benötigte Funktionalität liefern, gepaart mit kürzerer Time-to-Market. Dies geschieht, indem Feedback wiederkehrend eingefordert und auch eingearbeitet wird. Und auf dem Weg dorthin lohnt sich mitunter ein Blick in die Vergangenheit.

Preußisch Scrum

Denn zwischen der Leitung von Entwicklerteams drängen sich – mit einem Augenzwinkern, versteht sich – gewisse Parallelen zur militärischen Organisation auf. (Sollten überzeugte Pazifisten hier mitlesen: Keine Sorge, unsere Überlegungen dienen lediglich dazu, den Arbeitsplatz zu einem friedlicheren, freundlicheren
und besseren Ort zu machen. Versprochen!) Die Preußen, einst berühmt-berüchtigt für ihre straffe und effiziente Heerführung, sollen im Folgenden unser Best-Practice-Beispiel sein. Denn ein General hat grundsätzlich mit einer ähnlichen Ausgangssituation zu kämpfen wie ein Teamlead in der Softwareentwicklung: Er muss seine Truppen so organisieren, dass sie dem Feind (Wettbewerber) überlegen sind. Auch wenn er als Einzelperson finale Entscheidung trifft, wird ein Beraterstab zur Planung hinzugezogen (Meetings). Aber auch Alliierte mussten in Planungen einbezogen werden (Third-Parties). Und alle Aktivitäten mussten einem Ende-zu-Ende Gedanke folgen – denn es ging nicht nur um die Kampfhandlung an sich, sondern auch den Transport (Betrieb), Versorgung (Kapazitätsplanung) sowie die Sicherung bereits eroberter Stellungen (Qualitätssicherung).
Vor allem gleicht sich ein eiserner Grundsatz von Achtzehnhundert-Dazumal bis heute: Zwischen Theorie und Praxis tut sich im Verlauf eines Feldzugs (oder eben IT-Projekts) eine immer größere Lücke auf. Die preußischen Generäle waren sich bewusst, dass sich Ausrüstung, Truppenstärke und Zielsetzungen im gegnerischen wie im eigenen Lager laufend ändern. Aus diesem Grund befassten sie sich bereits lange vor unserer Zeit mit agilen Methoden. In der Softwareentwicklung haben wir mit einem ähnlichen Phänomen zu kämpfen: nämlich unvorhersehbaren Änderung in den erst später erforschten Details oder auch den ursprünglich gestellten Anforderungen durch neu gewonnene Erkenntnisse, die noch während der Projektlaufzeit entstehen, zu ersetzen. Nicht zuletzt deshalb lohnt sich ein Blick in die alten Militärratgeber. Im Folgenden besprechen wir vier Grundsätze, die für agile Führungskräfte auch heute noch nützlich sind.

Überall lauert Friktion – akzeptiert die Komplexität!

Ein erster Schritt auf dem Weg zu agiler Führung ist das Bewusstsein um sowie die Bewältigung von „Friktion“. Kein geringerer als der preußische General Carl von Clausewitz prägte diesen Begriff. Gemeint ist damit „die Summe vieler dem Anschein nach kleiner Verzögerungen, Fehler und Missverständnisse, die das Kriegsgeschehen auch von akribischen Vorbereitungen abweichen lässt.“ Solange man selbst den Krieg nicht kenne, führt Clausewitz aus, begreife man nicht, wo die Schwierigkeiten der Sache liegen. Und was eigentlich das Genie und die außerordentlichen Geisteskräfte ausmachen, die vom Feldherrn gefordert werden. (Vom Kriege, 1832)

Wovon Clausewitz spricht, sind die plötzlich auftretenden, ungewollten Ereignisse, die auch noch so akribische Planung im Nu aushebeln können. Sei es ein plötzlicher Wetterumschwung, der ein weiteres Vorstoßen unmöglich macht, ein Gerücht unter den Soldaten, das die Truppe in Chaos versetzt oder der Ausfall einer Nachschublinie: Ein Feldherr muss sich auf jede gegebene Situation neu anpassen können. Tut er dies nicht und verlässt er sich auf ein starr fixiertes System, kann auch der zunächst kleinste und belangloseste Zufall im wahrsten Sinne des Wortes „kriegsentscheidend“ sein. Deshalb ist noch eine weitere wichtige Erkenntnis nach Clausewitz im agilen Kontext sehr relevant: Planen ist entscheidend, Pläne sind es nicht. So sollte man sich nicht dem Trugschluss hingeben, durch den Umstieg auf agile Methoden auf Planung gänzlich verzichten zu können.
Kaum jemand aus der IT-Praxis wird sich noch nicht mit unerkannten Bugs, schludrigen Dokumentationen oder plötzlich geänderten Projektzielen herumgeschlagen haben. Nun ist es sicher nicht so, dass Entwickler für ihren Beruf die „Genies“ sein müssen, von denen Clausewitz spricht. Aber gerade bei geschäftskritischen Anwendungen wird von ihnen erwartet, dass jedes Problem umgehend beseitigt wird – egal, wer es verursacht hat. Zielführend ist es also, für Personalverantwortliche im agilen Umfeld Komplexität zu akzeptieren genauso wie aus ihr resultierende Störungen. Teams brauchen einen Anführer, der ihnen vermittelt, dass ihm diese Situation bewusst ist und Rückhalt schafft, damit sie in solchen Ausnahmesituationen mit Bedacht handeln und sich auf die Lösungsfindung konzentrieren können – als ein Team! Und: Auch ein Agile Lead braucht den Rückhalt seines Managements. Der Fokus des agilen Wandels öffnet sich damit über den IT-Bereich hinaus und betrifft die gesamte Organisation.

Autonomie ist die Mutter aller Freiräume!

Von Graf Helmut Moltke stammt das zweite Prinzip, die ergänzende Betrachtung von Ausrichtung und Autonomie. Während Ausrichtung die Befehlsvorgabe bezeichnet („Was soll erreicht werden?“), bezieht sich der Begriff Autonomie auf den Spielraum, welcher den Untergebenen für die Umsetzung von Zielvorgaben zusteht („Wie kann das Ziel erreicht werden?“). Eine zu strikte Ausrichtung kann den Nachteil haben, die Erfahrungen und Fähigkeiten der Mitarbeiter zu blockieren; bloße Autonomie hingegen kann Chaos und Planlosigkeit hervorrufen. Insofern sind die beiden Prinzipien in einen schlüssigen Ausgleich zu bringen. Eine wichtige Frage, die sich dabei aber zweifelsohne stellt, ist: Woher wissen die eigenen Leute, was zu tun ist – wenn sie nicht genau gesagt bekommen, was zu tun ist?

Die Anwendung dieser Erkenntnis erfordert besonderes Fingerspitzengefühl. Denn einerseits brauchen Mitarbeiter in manchen Situationen klare Regeln. Andererseits wieder ist es besser, sich auf die Proaktivität und Kreativität der Lösungsfindung zu verlassen. Einen guten Entscheidungsrahmen hierfür bietet die Einschätzung, was passieren würde, wenn es für einen bestimmten Fall keine klare Regel gibt. Regeln müssen prinzipiell immer dort festgelegt werden, wo eine falsche Handlungsweise geschäftskritische Aspekte berührt. Dabei kann es sich beispielsweise um Zugangskontrollen zu bestimmten Segmenten eines Codes handeln oder auch gesetzliche Vorschriften, die im Arbeitsalltag zu beachten sind.

Vieles hängt jedoch auch von der Persönlichkeit der Führungskräfte ab: Sie müssen in den Augen der Mitarbeiter Enabler sein und Verantwortung übergeben. Selbstorganisierte Teams zu leiten bedeutet mitunter auch harte Arbeit. Dafür bedarf es den richtigen Rahmenbedingungen, wo es möglich wird, dass sich sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte Fehler eingestehen. Vertrauen wird im ersten Schritt geschenkt, muss aber dennoch wachsen. Mit der Grundhaltung, dass man tolle Mitarbeiter hat, lässt sich die entsprechende Kultur etablieren, die Leistung würdigt. KPIs sollten nicht zum Fetisch werden, denn diese überdecken unter Umständen die Hintergründe und das Ziel des Projekts.

Auftragstaktik! Team-Commitment!

Im preußischen Militär setzte sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts die sogenannte „Auftragstaktik“ im Gegensatz zur „Befehlstaktik“ durch. In dieser erhält der ausführende Offizier eine präzise Beschreibung der Ziele, des Zeitplans und der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die Ausführung selbst obliegt seiner eigenen Führung. Ein besonders wichtiger Punkt der Auftragstaktik ist jedoch, den Ausführenden auch die übergeordneten Ziele der Mission zu erklären, damit sie ihren Einsatz stets auf diese abstimmen können. Besonders wichtig dabei ist, nicht nur den Auftrag selbst, sondern die Absicht hinter dem Auftrag zu vermitteln und die wesentliche Leistung herauszustellen. Die Ausführenden genießen Freiheiten bei der Wahl des Weges, sichern sich jedoch im Vorab durch eine Briefing/Backbriefing-Herangehensweise ab.
Dies ist der einfachen Erkenntnis geschuldet, dass es die beste Zielerfüllung durch Mitarbeiter nur dann erfolgt, wenn das Ziel zu ihrem „eigenen“ wird. Hier soll es eben gerade nicht um die Abarbeitung von Schritten gehen, für die das übergeordnete Verständnis fehlt.

Im Alltag liegt dennoch oft der Fokus auf die Prozesseinhaltung statt auf der Kommunikation. Beispielsweise ist die Aussage „Muss bis Juni fertig sein“ ungleich „Muss bis Juni fertig sein, weil sich dann gesetzliche Vorgaben ändern“. Eine wichtige Info ist zwar im Kopf, wird aber nicht kommuniziert. Deshalb ist es stets wichtig, Feedbackschleifen zu etablieren und Retrospektiven als dedizierten und wiederkehrenden Termin im Projekt einzubauen. Dies gibt Potential zur ständigen Optimierung. Auch negatives Feedback ist dann eine Chance, den Prozess lebendig halten, da Verbesserungen nur in kleinen Schritten von statten geht. Mit Transparenz und regelmäßiger Kommunikation wird es leichter, die im vorigen Absatz erwähnte Autonomie einzugestehen.

Wer inmitten von Soldaten ist, profitiert von ihrer Erfahrung

Last but not least gehört das Prinzip „inmitten von Soldaten“ – im übertragenen Sinne, versteht sich – in jedes Lehrbuch für agile Führung. Denn wer Soldaten führen will, muss sprechen wie sie, denken wie sie und marschieren wie sie. Als Führungspersönlichkeit sollte es deshalb auch eine Selbstverständlichkeit sein, bei Operationen selbst vor Ort zu sein, um im Ernstfall reagieren und motivieren zu können. Aber auch die Tugenden vorleben, die für den Erfolg ausschlaggebend sind.

Für die agile Führung bedeutet dies vor allem: Präsent sein. Für Rückfragen zur Verfügung stehen. Eine Vorbildfunktion einnehmen! Denn Agilität folgt keinem Dekret! Es gilt, nicht am Lehrbuch festzuhalten und sich wie bereits besprochen nicht zu sehr auf die Prozesse zu verlassen. Agile Führungskräfte haben ein offenes Ohr, leben ihre Werte auf eine belastbare Weise, sind bereit „mal was anders“ zu machen, brennen leidenschaftlich für ihr Thema und spenden damit Wärme, schaffen Freiräume und geben sich selbst den Freiraum, nicht „Profi“ für alles sein zu müssen. Punkt.

Und wie werde ich jetzt eine agile Führungskraft?

Genau wie die Softwareentwicklung verortet sich die militärische Praxis zwischen zwei Gegenpolen: Strikte Logik auf der einen und disruptive Kreativität auf der anderen Seite. Weder das eine, noch das andere Prinzip darf völlig dominieren. Deshalb ist die Entwicklung hin zu agiler Führung ein Prozess, der in sich selbst vieles von dem birgt, was eine agile Geisteshaltung auszeichnet. In vielen Fällen ist es darüber hinaus sinnvoll, sich Erfahrung und Unterstützung von außen zu holen. Denn so lässt sich am besten von den üblichen Fehlern anderer lernen, um sie selbst zu vermeiden und von bereits vorhandenen Erkenntnissen zu profitieren.
Wer diesen Weg konsequent geht, wird am Ende auch die Vorteile agiler Methoden genießen können: Höhere Produktivität bei gleichzeitiger Entschleunigung und als Resultat ein besseres Produkt, welches schneller bei den Endkunden ankommt. Das Resultat sind zufriedene Mitarbeiter und eine sichere, kontinuierliche Geschäftsentwicklung.

Andreas Meurer ist seit sechs Jahren in unterschiedlichen klassischen und agilen Rollen für die PENTASYS AG tätig: Als Agile Coach, IT Project Manager sowie als Line Manager mit Personalverantwortung. Insgesamt bringt er knapp fünfzehn Jahre Erfahrung in der IT-Beratung mit. Andreas ist unter anderem als Projektmanager (IPMA Level D) sowie als Business Process Manager (OCEB-F) zertifiziert. Dabei fließen ständig neue Erfahrungswerte aus den beiden Welten Personalführung und Projektarbeit in seine Tätigkeiten ein, in denen er oft im Spannungsfeld von klassischen Konzernstrukturen und agiler Start-Up Mentalität steht.

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