#JCON2017 #Agile #Lösungsfokussiert #Coaching
Teamarbeit ist toll – wenn das Team sich versteht und gerne miteinander arbeitet. Die meisten Teams stehen jedoch immer wieder vor denselben Herausforderungen. Wer mit oder in Teams arbeitet, sollte nicht nur technische, sondern auch zwischenmenschliche Herausforderungen bewältigen können. Dabei können sie die drei Geheimnisse aus dem lösungsfokussierten Coaching-Ansatz unterstützen: Haltung bewahren, fiese Fragen stellen und Pyramiden erklimmen.
In unserer langjährigen Arbeit mit agilen Teams stoßen wir immer wieder auf vertraute Herausforderungen, denen es zu begegnen gilt: Zu viele Meetings und trotzdem zu wenig Kommunikation, zu viele oder auch unrealistische Anforderungen und zu wenig Zeit für die Umsetzung, zu viele Entscheider und zu wenige ausführende Experten, Schnittstellenprobleme zwischen den Abteilungen, Führungskräfte mit Kontrollzwang oder solche ohne Rückgrat, Zynismus wird als Spaß verstanden und persönliche Verletzungen als Kleinigkeiten abgetan.
Immer und immer wieder haben wir mit Scrum-Mastern, Teamleitern und ganzen Entwicklungsteams Wege erarbeitet, wie gute und zielorientierte Zusammenarbeit funktionieren kann. Dazu haben wir den lösungsfokussierten Ansatz von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg1, die Sinnlehre Viktor Frankls2 und Ergebnisse aus der aktuellen Gehirnforschung genutzt, sowie weitere hilfreiche Erkenntnisse aus unserer praktischen Arbeit und der Literatur. Alles das, was für uns und unsere Kunden hilfreich ist und was wir gerne anwenden, haben wir auch in unserem Buch „Agile Teams lösungsfokussiert coachen“3 zusammengefasst.
Wenn Einer nicht mehr weiterweiß…
Vor allem geht es darum, lösungsfokussierte Coaching-Tools für die Arbeit mit Teams zu nutzen, also Gespräche zu führen, Weiterentwicklung zu fördern, Konflikte aufzulösen, Meetings zu moderieren und vieles mehr. Doch wann und wozu braucht es eigentlich ein Team? Viele Programmierer bezeichnen sich selbst als introvertiert und lieben die Einsamkeit und Ruhe, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen. Schließlich sind sie Softwareentwickler geworden und keine Führungskräfte, die immerzu in Meetings sitzen und diskutieren wollen.
Immer dann, wenn eine Aufgabe zu komplex oder zu groß für eine einzelne Person ist, macht es Sinn, ein Team zu formen. Traditionell ist es üblich, dazu Kollegen mit ähnlicher Expertise zusammenzuschließen. Dieses Vorgehen hat bekanntermaßen Vorteile, wie zum Beispiel ein gemeinsames inhaltliches Verständnis, eine hohe Spezialisierung oder eine gute Vertretbarkeit im Krankheitsfall.
Agile Arbeitsformen bevorzugen die Etablierung sogenannter cross-funktionaler Teams, also den Zusammenschluss von Menschen mit unterschiedlicher Expertise für eine gemeinsame Zielerreichung. Dabei sollen alle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse, die nötig sind, um das gewünschte Ergebnis zu liefern, im Team vorhanden sein. So werden Schnittstellenkoordination und Wartezeiten extrem verringert oder sogar ausgeschlossen und das Team kann weitgehend autonom agieren.
Herausforderungen cross-funktionaler Teams
Die Schattenseite dieser neuen Form der Zusammenarbeit ist, dass die Vorzüge der traditionellen Expertenteams fehlen. Die inhaltliche Kommunikation bei unterschiedlichem Wissensstand ist schwieriger, die gegenseitige Vertretbarkeit nur bedingt gegeben. Der Preis für die hohe Flexibilität und die Autonomie ist ein erhöhter Kommunikationsaufwand. Jedes Teammitglied muss zu jeder Zeit wissen, wie es am besten seinen Beitrag leisten kann: Gegenseitige Hilfsbereitschaft, Lernwille, das Zutrauen, dass auch andere was draufhaben und der Mut, auch mal Aufgaben anzugreifen, die außerhalb der eigenen Komfortzone liegen, sind hier gefragt.
Meetings sollten, wenn sie schon stattfinden müssen, zielorientiert sein und klare Ergebnisse hervorbringen. Ihr Nutzen sollte jedem einzelnen Teilnehmer bewusst sein. Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen und getragen werden. Und alle sollten sich für das Gesamtergebnis der Zusammenarbeit gleichermaßen verantwortlich fühlen. Nur dann wird das Engagement und die Freude aller Beteiligten hoch sein und die Qualität der Ergebnisse den Anforderungen gerecht.
Bewahren Sie Haltung!
Mit dem Lösungsfokussierten Ansatz bietet sich ein wunderbarer Werkzeugkasten für den Umgang mit diesen Herausforderungen an. Er enthält Haltungen, Prinzipien und Techniken, die in der Praxis sowohl die Kooperationsbereitschaft als auch den gemeinsamen Zug nach vorn in Richtung Ziel fördern. Im Wesentlichen geht es darum, anstatt das Problem und seine Geschichte, das erwünschte Ziel und seine Auswirkungen zu analysieren. Oder einfacher gesagt: Lösen statt jammern!
Die Haltungen bilden dabei die Basis. Ohne sie ist der Einsatz der Techniken nur kurzfristig hilfreich. Die wichtigsten Haltungen, die lösungsfokussiert arbeitende Menschen entwickeln sollten, sind:
- Ressourcenorientierung – Achten Sie auf die Fähigkeiten und Stärken Ihrer Kollegen, anstatt auf deren Defizite und Schwächen.
- Geduld und Zuversicht – Glauben Sie unerschütterlich an den Erfolg und trauen Sie dem Team Lösungskompetenz zu.
- Haltung des Nichtwissens – Hören Sie zu, anstatt auf Ihren eigenen Lösungen zu beharren, zeigen Sie Interesse anstatt selbst interessant sein zu wollen.
- Vertrauen und Zurückhaltung – Jeder ist Experte seiner eigenen Situation und weiß daher auch am besten, was er gerade braucht.
- Allparteilichkeit – Stehen Sie hinter jeder einzelnen Partei, hinter jedem Ihrer Kollegen und Kunden. Suchen Sie nach dem verbindenden Ziel für eine gemeinsame Lösung.
- Vertraulichkeit – Gehen Sie behutsam mit Informationen um, die Ihnen anvertraut werden.
Diese Haltungen haben, genau wie die lösungsfokussierten Prinzipien, in jeder Alltagssituation ihren Platz, nicht nur in Retrospektiven. Lesen Sie die sechs Punkte, wenn Sie das möchten, langsam noch einmal durch und denken Sie dabei an eine herausfordernde Begebenheit, die Sie kürzlich erlebt haben. Wie wären Sie mit der Kundenbeschwerde, dem zu spät kommenden Kollegen oder dem immer-alles-besser-wissenden Stararchitekten während des Pair-Programming umgegangen, wenn Sie diese Haltungen beherzigt hätten? Welchen positiven Einfluss hätte das möglicherweise gehabt?
Stellen Sie fiese Fragen!
Das wichtigste Werkzeug lösungsfokussierter Arbeit ist die Frage. Sie wird hier stets so gestellt, dass sie die Beschreibung der erwünschten positiven Zukunft provoziert. Also:
- Was soll sein? Anstatt: Warum ist es nicht so?
- Was brauchen wir noch? Anstatt: Woran scheitern wir?
- Was funktioniert schon alles? Anstatt: Was ist alles kaputt?
Es werden exakt dieselben Themen angesprochen, nur eben aus der Sicht des möglichen Wachstums anstatt aus der Sicht des Scheiterns. So bleiben die Motivation und die Lösungsenergie erhalten und die Wahrscheinlichkeit der aktiven Mitarbeit, sowohl bei der Lösungsfindung als auch bei der anschließenden Umsetzung, bleibt möglichst hoch. Ach ja – und die Jammerei wird eingedämmt!
Fies, wissen wir.
Ein Spezialfall ist die Frage „Warum?“. Sie wird in anderen Ansätzen häufig als „Powerful question“ bezeichnet. Lösungsfokussiert gesehen fragt „Warum“ jedoch in Richtung der schlechteren Vergangenheit, also nach der Ursache des Problems. Damit ist diese Frage problemfokussiert. Wir bemühen uns daher, sie nicht zu stellen, wenn es um komplexe Situationen geht, es also keine klaren und wiederholbaren Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung gibt. Stattdessen nutzen wir dann die Frage „Wozu?“, also die Frage nach dem Ziel.
Probieren Sie es doch gleich einmal selbst aus, wenn Sie möchten. Denken Sie an einen Moment, an dem Sie sich über das Verhalten einer Person geärgert haben. Auf die Frage „Warum hast du das so gemacht?“ könnte die Antwort lauten: „Weil ich dachte, dass es so richtig ist.“ Formulieren Sie die Frage um und fragen Sie „Wozu hast du das so gemacht? Was wolltest du damit erreichen?“, so eröffnen Sie damit die Möglichkeit, das Ziel Ihres Gegenübers zu erfahren und so mehr Verständnis für dessen Verhalten zu bekommen. Mit diesem Verständnis können Sie nun gemeinsam andere Lösungswege für sein und Ihr Ziel erarbeiten und aus dem ärgerlichen Verhalten wird kein Konflikt, sondern ein wertvoller Lernmoment.
Erklimmen Sie Pyramiden!
Haben Sie schon mal ein Meeting erlebt, in dem viel geredet und gejammert wurde und am Ende doch nicht viel rauskam? Damit sind Sie nicht alleine. Die Meetingkultur in vielen Unternehmen ist leider ziemlich undiszipliniert. Die Folgen, wie verzögerter Beginn, zeitliches Überziehen, es reden immer dieselben etc., verschlimmern die Situation häufig noch. Mit der Lösungspyramide haben wir ein vierstufiges Gesprächsmodell entwickelt, das es Ihnen ermöglicht, den roten Faden im Meeting, oder auch in jedem anderen Gespräch, zu behalten.
Der Boden, auf dem die Pyramide steht, ist das Thema um das es geht – also: das Problem, der Konflikt oder ähnliches. Hier geben Sie den Beteiligten Zeit und Raum, alles das auszusprechen, was ihnen zum betreffenden Thema am Herzen liegt. Hören Sie aufmerksam zu, nicken Sie von Zeit zu Zeit verständnisvoll und stellen Sie bloß keine vertiefenden Fragen! Das können Sie dann nach Herzenslust auf der ersten Ebene nachholen, wenn es um die Zielformulierung geht. Provozieren Sie mit vielen lösungsfokussierten Fragen eine möglichst umfassende Beschreibung der erwünschten Zukunft. Lassen Sie sich dafür ruhig viel Zeit! Dies ist der wichtigste Teil auf dem Weg zum Ziel.
Wenn alle Anwesenden ein gemeinsames Zielbild erarbeitet haben, fragen Sie auf der zweiten Ebene nun danach, was schon alles da ist auf dem Weg zum Ziel. Bestimmt finden Sie gemeinsam eine Menge an kleinen und auch größeren Meilensteinen, die bereits zu diesem Thema passiert wurden. Wie beim Schreiben einer Einkaufsliste macht es auch hier Sinn, zuerst nachzusehen was bereits eingekauft wurde, um zu erkennen was noch fehlt.
Sie kennen nun also das gemeinsame Ziel und wissen, was auf dem Weg dahin schon alles passiert ist. Auf der dritten Ebene folgen daraus fast automatisch die logischen nächsten notwendigen Schritte. Sie brauchen Sie nur einzusammeln und aufzuschreiben. Und schon erklimmen Sie gemeinsam mit Ihrem Team,
die Spitze Ihrer Pyramide. Die meisten nicht-lösungsfokussierten Meetings sind an dieser Stelle schon längst zu Ende und die Teilnehmer feiern die erfolgreiche Erstellung eines Maßnahmenplans, während Sie noch einen lösungsfokussierten Sicherheitsmechanismus nutzen: Die Frage nach der Zuversicht. „Auf einer Skala von 0 bis 10, wie zuversichtlich bist du persönlich, dass wir diese Maßnahmen auch tatsächlich umsetzen werden?“ Und hier wird jeder einzelne Anwesende mit Blickkontakt direkt angesprochen.
Sollte die Zuversicht noch nicht sehr hoch sein, ist dies ein Zeichen dafür, dass noch Zweifel bestehen, die bisher nicht angesprochen wurden. Das könnte auch bedeuten, dass Sie eventuell nochmal am Boden unter der Pyramide beginnen müssen. Ja, das ist unangenehm. Uns ist diese Variante jedoch deutlich lieber,
als in zwei Wochen festzustellen, dass die vereinbarten Punkte nicht umgesetzt wurden.
Die Lösungspyramide können Sie für die Durchführung fast jede Art von Gesprächen und auch zur deren Vorbereitung nutzen. Vielleicht möchten Sie es ja gleich ausprobieren? Denken Sie an ein bevorstehendes Gespräch oder Meeting, das Ihnen wichtig ist und wandern Sie anhand der Abbildung – beim Boden beginnend bis zur Spitze – durch alle Ebenen der Pyramide. Notieren Sie Ihre Erkenntnisse. Was ist Ihnen nun klarer geworden?
Fazit:
Coaching ist nicht nur was für Coachs. Das Wissen um die Wirkprinzipien lösungsfokussierten Vorgehens eröffnet jedem einen großen Schatz an Möglichkeiten, dem gute Kooperation und gemeinsame Ziele erreichen wichtiger sind als das Herumsumpfen in schwierigen Situationen. Und die sehen in zwischenmenschlichen Herausforderungen nun mal anders aus als bei technischen. Wenn Sie mit oder in Teams arbeiten, müssen Sie möglicherweise beides beherrschen. Mit guter Haltung und fiesen Fragen Pyramiden zu erklimmen macht dabei auch noch richtig Spaß – versprochen!
[well]Autoren – Veronika Kotrba und Dr. Ralph Miarka
Veronika Kotrba, MC, Führungskräfte- und Teamcoach und Trainerin für lösungsfokussierte Führungskommunikation. Geschäftsführende Gesellschafterin der sinnvollFÜHREN GmbH. Ehemalige Point Of Sales Trainerin bei der UNIQA Versicherungen AG. Gründerin und Vorstandsmitglied des Austrian Solution Circle.
Dr. Ralph Miarka ist Trainer, Coach und Berater für Organisations- und Teamentwicklung. Geschäftsführender Gesellschafter der sinnvollFÜHREN GmbH. Ehemaliger Scrum Master und Product Owner sowie Leiter des Support-Centers Projektmanagement bei der IT Solutions and Services, Siemens AG ÖsterreichasinnvollFÜHREN GmbH
[accordion]
- https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%B6sungsorientierte_Kurztherapie
- https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Frankl
- Agile Teams lösungsfokussiert coachen,
Veronika Kotrba und Ralph Miarka, 2. Auflage. dpunkt.verlag, Heidelberg, 2017 ↩