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Das Agile-Coaching-Dojo

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Exzellenz in der agilen Praxis kann nicht allein aus dem Lehrbuch kommen, sondern ist immer auch eine Frage der Weitergabe und Modellierung von Erfahrungswerten. Um einen solchen Prozess innerhalb des eigenen Unternehmens einzuführen und zu systematisieren, ist das Veranstaltungsformat Agile-Coaching-Dojo besonders geeignet. In diesem Artikel erfahren Sie mehr über seine Ziele und Philosophie sowie die konkrete Umsetzung einer Dojo-Veranstaltung.  

Im Alltag agiler Projekte treten immer wieder ungewohnte Situationen auf, die für die Beteiligten eine Herausforderung darstellen. Nehmen wir das folgende Beispiel: Während eine Kollegin als Agile-Coach bei einem Kunden vor Ort ist, bittet sie ein Product-Owner um Unterstützung. Dieser ist momentan dabei, sein Backlog zu füllen. Allerdings liegen die Interessen zweier Stakeholder vor, die sich nur schwer miteinander vereinbaren lassen. Die Anforderungen scheinen sich gegenseitig auszuschließen. Die Kollegin steht deshalb vor der Frage: Welche Unterstützung könnte dem Product-Owner bei seiner Aufgabe helfen? Welcher Beitrag wäre angemessen, um den Zielkonflikt aufzulösen? Gibt es möglicherweise Erfahrungswerte aus ähnlichen Projekten, die eine Orientierung ermöglichen?

Dieses allgemein gehaltene Beispiel verdeutlicht, dass die agile Praxis Herausforderungen birgt, die zwar in ähnlicher Form immer wieder anzutreffen sind, aber in den Modellen agiler Methoden keine explizite Berücksichtigung finden. Dies hat natürlich den Grund, dass Scrum & Co. von unausgesprochenen Voraussetzungen ausgehen müssen, um allgemein aussagekräftig zu sein – im erwähnten Beispiel wäre das Einvernehmen aller beteiligten Stakeholder eine solche. Für Agile-Berater und Projektbeteiligte braucht es daher ergänzende Maßnahmen, um die Leerstellen aus dem Scrum-Lehrbuch mit bewährtem Praxiswissen zu füllen. Deshalb wurde das Agile-Coaching-Dojo entwickelt – mit dem Anspruch, diese Lücke zu füllen.

Ein Trainingsraum für die persönliche und fachliche Weiterentwicklung

Das Agile-Coaching-Dojo folgt zunächst der Philosophie einer Community-of-Practice. Die Basis der Weiterentwicklung ist das gemeinsame und gegenseitige Lehren und Lernen – aus der Praxis heraus, in die Praxis hinein. In der Praxis lässt sich eine Community-of-Practice also als Interessensgemeinschaft beschreiben, die sich regelmäßig trifft, sich selbst eine Agenda gibt, Themen entwickelt und dabei ihre Erfahrungen austauscht und reflektiert. Sehr wichtig dabei ist, dass Frontalvorträge und Diskussionen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen und ein weitgehend hierarchiefreier Umgang miteinander möglich ist. Denn der größte Mehrwert einer Community-of-Practice besteht in der Reflexion verschiedener Lösungsansätze durch den Austausch verschiedener Argumente und Perspektiven.

Das Agile-Coaching-Dojo führt diesen Gedanken noch weiter. Die Namensgebung lehnt sich dabei bewusst an einem alten japanischen Begriff an: Das Dojo bezeichnet bei den traditionellen Kampfsportarten wie Judo sowohl den Trainingsraum, in dem die Übungen stattfinden, als auch die Trainingsgemeinschaft, die sich an diesem Ort versammelt. Dies verdeutlicht die Philosophie hinter unserem Format. Fachlich gesehen geht es zunächst darum, wie beim Sport feste Abläufe zu trainieren, damit diese sich in bestimmten Situationen routinemäßig abrufen lassen. Eine genauso wichtige Rolle spielt die Gemeinschaft, indem sie den Wissenstransfer zwischen Teilnehmern unterschiedlicher Erfahrungsstufen ermöglicht.      

Im Agile-Coaching-Dojo stellen die Teilnehmer dafür Fallkonstellationen aus ihrer individuellen Erfahrung sowie die entsprechenden Lösungsansätze vor. Dies kann entweder die Lösung sein, welche im konkreten Projekt zur Anwendung gekommen ist, oder ein innovativer, noch zu erprobender Ansatz. Anschließend erfolgt die Diskussion mit den anwesenden Kollegen und Kolleginnen. Das Ziel dieser Übung ist, mehr über den Kontext der jeweiligen Problemstellung in Erfahrung zu bringen, die Lösung auf ihre Angemessenheit und Übertragbarkeit zu überprüfen und alternative Handlungsoptionen zu erörtern, aus denen sich neue und bessere Lösungsansätze entwickeln lassen. Die teilnehmenden Fachleute haben dabei die Gelegenheit, ihre Arbeit in einem vertrauensvollen Umfeld kritisch zu reflektieren, darin neue Aspekte zu beleuchten sowie ihren persönlichen Werkzeugkoffer mit ganz neuen Lösungsansätzen zu erweitern. Das gewonnene Know-how lässt sich nahtlos in den Beratungsalltag integrieren und schon am nächsten Tag gewinnbringend einsetzen. Insbesondere für Situationen, die eine herausfordernde und ungewöhnliche Problemstellung mit sich bringen, können Erfahrungswerte aus dem Agile-Coaching-Dojo hilfreich sein. Das Training ist die beste Lösung für eine gute Vorbereitung, um souverän reagieren zu können und gegebenenfalls auch verschiedene Lösungsvarianten anbieten zu können.

Vorbereitung und Umsetzung eines Agile-Coaching-Dojos

Ausgehend von der bisher definierten Philosophie und Zielsetzung des Veranstaltungsformats wird nachfolgend die konkrete Ausgestaltung einer Dojo-Veranstaltung beschrieben. Die folgenden Schritte lassen sich als Anleitung verwenden und unmittelbar in einer eigenen Veranstaltung umsetzen. Bevor es direkt in die Umsetzung des Events geht, sollten die Organisatoren die folgenden Punkte berücksichtigen, die es als Voraussetzung braucht:

 

  • Auswahl geeigneter Fallbeispiele: Die Szenarien die im Dojo zur Sprache kommen, sind die wichtigste inhaltliche Grundlage für das Format. Sie müssen geeignet sein, ausreichend praxisrelevante Problemstellungen zu adressieren sowie das Interesse potenzieller Teilnehmer zu wecken. Um viel beschäftigte Kolleginnen und Kollegen dazu zu bewegen, zusätzliche Zeit zu investieren, hat die Präsentation der Fallbeispiele einen hohen Stellenwert. Es hat sich bewährt, bei der Einladung griffige und spannungsgeladene Beschreibungen zu verwenden, zum Beispiel „Product-owner faces polar opposites“, „Way down we go“ oder „Convince me“. Die Veranstaltungsthemen dürfen und sollen sogar einen emotionalen Bezug transportieren.
  • Eine ausgewogene Teamzusammensetzung: Wichtig ist zu betonen, dass das Agile-Coaching-Dojo weder ein reines Anfänger- noch Experten-Format ist. Den größten Mehrwert bringt eine ausgewogene Zusammensetzung. Denn nehmen nur Kollegen auf Einsteiger-Level teil, fehlen die langjährigen Erfahrungswerte aus der Praxis. Beschränkt sich die Besetzung des Events auf die Senior-Stufe, kommt möglicherweise das Hinterfragen von (vermeintlichen) Selbstverständlichkeiten und der frische, innovative Blick auf Problemstellungen zu kurz. Die Philosophie des Agile-Coaching-Dojo zielt schließlich darauf ab, durch ein Durchsprechen von unterschiedlichen, breit gefächerten Perspektiven zu besseren Lösungen zu kommen.
  • Die richtige Teilnehmerzahl: Die bewährte Teilnehmerzahl für das Agile-Coaching-Dojo bewegt sich zwischen acht und zwölf Personen. Diese Zahl sollte nicht unterschritten werden, da sich die Gruppe im Verlauf der Veranstaltung in Kleingruppen von jeweils drei bis vier Personen aufteilt. In diesen besprechen die Teilnehmer dann unterschiedliche Fälle. Außerdem bildet die eingangs erwähnte Größenordnung eine ausreichend breite Mischung an Perspektiven und Erfahrungswerten ab. Den größten Mehrwert bietet die Veranstaltung schließlich durch ihre Meinungsvielfalt und Diskussionsmöglichkeit. Sollte die Teilnehmerzahl größer als zwölf sein, empfiehlt es sich aus organisatorischen Gründen, eine weitere Gruppe ins Leben zu rufen und das Agile-Coaching-Dojo an einem separaten Termin stattfinden zu lassen. Wichtig bei dieser Konstellation ist allerdings, dass sich keine Clubs bilden, sondern die Interessenten jedes Mal neu durchgemischt werden.
  • Aktiv für die Veranstaltung werben: Eine zu geringe Teilnehmerzahl ist nicht nur für die Veranstaltung hinderlich, sondern kann auch zu Frustration bei den Organisatoren führen. Um dem entgegenzuwirken sowie auch die besonders erfahrenen und vielbeschäftigten Fachleute für eine Teilnahme zu gewinnen, braucht es entsprechende Veranstaltungswerbung. Dies beginnt, wie eingangs erwähnt, bereits mit der Auswahl und Präsentation attraktiver Fallbeispiele. Zudem sollten alle zur Verfügung stehenden Medienkanäle genutzt werden: E-Mail-Verteiler, das Intranet, soziale Medien wie XING oder auch das persönliche Gespräch über den Flurfunk. Die eigene Marketingabteilung kann hier zusätzlich unterstützen, zum Beispiel mit einer professionellen Gestaltung der Einladung.

 

Sind die beschriebenen Voraussetzungen geklärt, besteht der nächste Schritt in der Festlegung der Agenda. Je nach spezifischer Zielsetzung und Gegebenheiten kann diese variieren. So lässt sich beispielsweise die Diskussion der Fallbeispiele mit einem allgemeinen Impulsvortrag zu Beginn der Veranstaltung verbinden. Wichtig ist, dass sich der Ablauf nach der vorab definierten Struktur richtet und insbesondere die zeitlichen Vorgaben eingehalten werden. Nachfolgend eine Beispielagenda, die sich bei bisherigen Veranstaltungen bewährt hat:

 

  1. Einführung: Hier werden alle Teilnehmer in den Kontext und den Ablauf des Dojos eingeführt.
  2. Gruppenfindung: Diese sollte möglichst ausgewogen ausfallen, also bei zwölf Teilnehmern insgesamt vier Gruppen zu je drei Personen, idealerweise sollten die Kleingruppen unterschiedliche Erfahrungsstufen abbilden.
  3. Auswahl der Aufgaben: Die Organisatoren stellen die vorhandene Auswahl an Fallkonstellationen vor; die Kleingruppen entscheiden sich für jeweils eine.
  4. Lösungsfindung: Die Gruppe skizziert für ihr ausgewähltes Fallbeispiel eine Lösung. Die Ergebnisse werden dabei in Stichworten festgehalten. Ein Teil der Lösungsfindung kann auch ein Rollenspiel sein, bei dem ein Beratungsgespräch mit dem Kunden dargestellt wird.
  5. Vorstellung des Lösungsvorschlags im Plenum: In jeweils einem kurzen Vortrag präsentieren die Kleingruppen ihre Lösung. Jedes Team ist dazu angehalten, sich genau an die Zeitvorgabe zu halten.
  6. Diskussion: Zu jedem Beitrag kann das Plenum nun Kritik, Lob und Ergänzungen äußern. Hierfür sollten die Organisatoren einen Moderator benennen, der die Ausgewogenheit der Themen und Redezeiten sicherstellt.

 

Falls für das Agile-Coaching-Dojo in etwa zwei bis drei Stunden zur Verfügung stehen – ein Ganztagesworkshop wäre zum Beispiel auch denkbar – hat sich die folgende Zeitvorgabe gut bewährt: Pro Fallkonstellation werden 30 Minuten festgesetzt, von denen 15 Minuten für die (gleichzeitige) Arbeit in Kleingruppen bereitstehen und dann pro Fall 15 Minuten für die Diskussion im Plenum. Damit lassen sich in einer Veranstaltung vier bis fünf Fälle behandeln. Wichtig ist, die vorab definierten Zeitslots einzuhalten und gegebenenfalls auch hart an der Stoppuhr abzubrechen, damit jede Konstellation gleichberechtigt zum Zug kommt. Sowohl die Ausarbeitung in den Kleingruppen als auch die Diskussion sollten protokolliert werden, um die Ergebnisse zur Verfügung zu stellen.

 

Nicht nur der fachliche Mehrwert zählt, sondern auch der zwischenmenschliche

Bei aller fachlichen Tiefe darf bei einer gelungenen Veranstaltung im Agile-Coaching-Dojo das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommen. Im Dojo finden nach der japanischen Tradition nicht einfach nur Übungspartner zusammen, sondern Gleichgesinnte, die ihre Philosophie gemeinsam leben. Ein geselliges Ausklingen, zum Beispiel bei einem Pizza-Essen, bietet eine wunderbare Gelegenheit für die Teilnehmer sich besser kennenzulernen und ungezwungen weiter auszutauschen. Hier können auch noch die Fragen beantwortet werden, die aus Zeitgründen während der Veranstaltung noch zu kurz gekommen sind.

 

Einen Kreis von themenaffinen Kolleginnen und Kollegen zu haben, bringt nicht nur Freu(n)de, sondern ist auch eine echte Hilfe im Alltag: Wer intern mit den Fachleuten aus dem eigene Unternehmen gut vernetzt ist, kann sich jederzeit bei einem Lunch oder in einem kurzen Telefongespräch einen Ratschlag holen. Die protokollierten Ergebnisse der Veranstaltung können außerdem als Basis einer internen Wissensdatenbank fungieren. Die wichtigsten Insights lassen sich damit über das Intranet für alle zugänglich machen. Jeder Einzelne trägt etwas dazu bei, wodurch die Community zusammenwächst und zum Unternehmenserfolg entscheidend beiträgt.

 

Christian Sandmann arbeitet seit 2011 bei der PENTASYS AG. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Agile Coaching, Requirements Engineering und Projektmanagement. Ihn interessiert besonders, wie es gelingt, bestehende Kunden-Strukturen und neues agiles Denken miteinander zu verbinden, zu einem Beitrag, der den Kunden der PENTASYS AG weiterhilft.

 

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